Digitaler Prototyp für die Optimierung von Wahlbezirken
Ein digitales Tool der ODIS vereinfacht das notwendige Zuschneiden neuer Wahlbezirke für Verwaltungsbeschäftigte aufgrund von Bevölkerungsveränderungen
Zielsetzung und Motivation
Das Ziel dieses Projekts ist die Entwicklung eines Open-Source-Prototypen, der den Verwaltungsmitarbeiter*innen hilft, die Grenzen von Wahlbezirken zwischen den Wahljahren anzupassen. Das Ergebnis ist ein benutzerfreundliches Werkzeug, das algorithmisch optimierte Wahlbezirkskarten für Berlin generiert und evaluiert. Die intuitive Benutzeroberfläche ermöglicht es außerdem, unkompliziert manuelle Modifikationen an den automatisiert generierten Wahlbezirkskarten vorzunehmen.
Die Motivation für die Entwicklung dieses Werkzeugs liegt in den demographischen Veränderungen, die in Berlin regelmäßig von Jahr zu Jahr zu beobachten sind. Verschiebungen in der Bevölkerung führen zwangsläufig dazu, dass einige Wahlbezirke stärker besiedelt sind als andere. Nach der Berliner Landeswahlordnung soll jeder Wahlbezirk jedoch maximal 2500 Bundesbürger*innen umfassen. Um auf stattgefundene Bevölkerungsverschiebungen zu reagieren und so der Verordnung nachzukommen, müssen die Grenzen der Wahlbezirke deshalb regelmäßig neu festgelegt werden. Für die zuständigen bezirklichen Verwaltungsmitarbeiter*innen, kann diese Neufestlegung eine mühsame und zeitaufwendige Aufgabe sein, da es an digitalen Werkzeugen mangelt, die notwendig wären um Teile des Prozesses zu automatisieren. Stattdessen werden die neuen Grenzen in der Regel von Hand gezogen, entweder unter Verwendung eines geografischen Informationssystems oder aber auch mit Stift und Papier.
Um diesen Prozess für Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung zukünftig zu vereinfachen, hat die Open Data Informationsstelle (ODIS) der Technologiestiftung Berlin ein Werkzeug entwickelt, das einzelne Straßenblöcke automatisiert neuen Wahlkreisen zuordnet.
Im folgenden Text beschreiben wir näher, welches Vorgehen wir bei der Entwicklung des Tools verfolgt haben (mit Screenshots aus dem Web-Prototyp).
Entwicklung des Tools
Unser Prototyp wurde bisher mit Daten aus dem Bezirk Tempelhof-Schöneberg getestet, der 123 Wahlbezirke und 1032 bewohnte Straßenblöcke umfasst. Achtzehn dieser Wahlbezirke überschreiten den Schwellenwert von 2500 Einwohner*innen. Im Bezirk Tempelhof-Schöneberg beträgt die durchschnittliche Anzahl auf Wahlbezirksebene 2269 Einwohner*innen.
Die Festlegung neuer Grenzen der Wahlbezirke erfordert die automatische Neuzuordnung einiger Blöcke aus „überfüllten“ Wahlbezirken zu benachbarten Wahlbezirken. Die technische Herausforderung liegt hier darin, dass die Neuzuordnung der Blöcke nicht zufällig erfolgen kann, sondern zu einer möglichst optimalen Wahlkarte führen muss, die eine bestimmte Bevölkerungsschwelle sowie vernünftige Anforderungen an die räumlichen Bedingungen berücksichtigt (z. B. sollte ein Wahlbezirk kompakt und nicht langgezogen sein, so dass Menschen, die am Rand des Bezirks leben, keine weiten Strecke zurücklegen müssen, um ihr zugewiesenes Wahllokal zu erreichen).
Die Benutzung des Tools und der entsprechende Test für Tempelhof-Schöneberg, lässt sich in 5 Teilschritte untergliedern:
1) Zunächst wurden Daten aus verschiedenen Quellen bereinigt und zusammengeführt, um dem Algorithmus alle Informationen zur Verfügung zu stellen, die er für die Durchführung der Simulationen benötigt. Der resultierende Datensatz enthält demografische Daten zu den einzelnen Straßenblöcken, die geografischen Informationen der Blöcke, sowie die Nummern der letzten zugehörigen Wahlbezirke zu den Blöcken. Die zugrundliegenden Daten sind als Open Data frei verfügbar, mit Ausnahme der Bevölkerungsdaten für einzelne Stadtblöcke, die aufgrund von Datenschutzbedenken nicht frei veröffentlicht werden können. Anhand der Daten erkennt das Tool, welche Wahlbezirke überbevölkert sind und demzufolge verändert werden müssen.
2) Im nächsten Schritt wurde der Algorithmus entwickelt, der Blöcke in überbevölkerten Wahlbezirken einem angrenzenden Bezirk zuordnet. Die Hauptidee hierbei ist, alternative Wahlbezirkszuordnungen für relevante Blöcke zu identifizieren, wo immer dies möglich ist. Die Methode besteht darin, Blöcke aus überbevölkerten Bezirken in benachbarte Wahlbezirke zu verlagern, die selbst nicht überbevölkert sind. Die folgende Darstellung zeigt die Euklidischen Distanzen (die kürzesten linearen Verbindungen) zwischen jedem Block und seinen Nachbarblöcken, unabhängig von der Wahlbezirkszugehörigkeit. Insgesamt generiert der Algorithmus 100.000 verschiedene Simulationen, durch die Verschiebung von Blöcken in benachbarte Bezirke unter Verwendung der Euklidischen Distanzen.
3) Als Nächstes wurden die neu generierten Wahlkarten der 100.000 Simulationen bewertet, um die 38 besten Ergebnisse auszuwählen. Dafür wurden folgende Kriterien herangezogen:
- Anzahl der neu zugewiesenen Blöcke: Die Anzahl der Blöcke, die ihre Wahlbezirkszugehörigkeit im Vergleich zur ursprünglichen Karte geändert haben.
- Anzahl der betroffenen Wahlbezirke: Die Anzahl der Wahlbezirke, in denen ein oder mehrere Blöcke im Vergleich zur Originalkarte entfernt oder hinzugefügt wurden.
- Anzahl der überbevölkerten Bezirke: Die Anzahl der Bezirke mit mehr als 2.500 Einwohner*innen (d.h. Bezirke, die auch nach der algorithmischen Optimierung noch über dem Schwellenwert liegen).
- Mittelwert, Median und Minimum Convex Hull Score: Ein Kompaktheitsmaß, das das Verhältnis der Fläche eines Wahlbezirks zur Fläche des minimalen konvexen Polygons, das die Geometrie des Wahlbezirks umschließen kann, umfasst.
- Standardabweichung Bevölkerungsgröße: Ein Maß für die Variation der Bevölkerungsgröße über alle Wahlbezirke hinweg.
Die besten generierten Karten wurden entweder anhand (1) ihrer Gesamtleistung aller Kriterien (d. h. wenn sie bei allen Kriterien zu den besten 25 % aller Simulationen gehörten) oder (2) ihrer Leistung bei einem bestimmten Kriterium (d. h. nach der besten Leistung bei einem einzelnen Indikator) ausgewählt.
4) Anschließend wurde eine grafische Darstellung der Bewertungen der ausgewählten, besten Simulationen erstellt, damit Benutzer*innen des Tools verstehen können, welche Simulationen bei bestimmten Kriterien besonders gut abgeschnitten haben. Mithilfe eines mehrdimensionalen Graphen können die Benutzer die Gesamtleistung bestimmter Simulationen visualisieren und jedem Kriterium manuell unterschiedliche Gewichtungen zuweisen. Anhand dieser Informationen kann die zuständige Person die für sie passendste Simulation als Vorlage für den finalen Schritt auswählen.
5) Im letzten Schritt haben wurde eine interaktive Karte erstellt, die Änderungen auf Blockebene an der simulierten optimierten Version ermöglicht, die vom Algorithmus erzeugt wurden. Wir wollten, dass unser Tool sowohl hilfreiche automatische Unterstützung bietet als auch dem Benutzer die Möglichkeit gibt, die endgültige Ausgabe selbst zu bestimmen. Durch Klicken auf eine Karte, die die Simulation ihrer Wahl repräsentiert, sind die Benutzer intuitiv in der Lage, die Zuordnung von Blöcken zu verschiedenen benachbarten Bezirken zu verschieben. Damit einhergehend werden sie über die gesamte Bevölkerungsänderung informiert, die sich aus dieser Modifikation ergibt. (Diese interaktive Karte ist im Online-Prototyp unter dem Reiter “Editor” verfügbar.)
Zukünftige Schritte
Aktuell stellt ODIS einen webbasierten Prototypen zur Verfügung, der die oben beschriebenen Schritte verfolgt und einen interaktiven Editor anbietet. In diesem webbasierten Prototypen ist es aktuell nicht möglich, eigene Dateien hochzuladen (z.B. eine GeoJSON-Datei mit Einwohnerzahlen und den bestehenden Wahlbezirken) und darauf basierend eigene Simulationen zu generieren. Bisher kann nur mit Simulationen gearbeitet werden, die schon von unserem Algorithmus generiert und in die Web-Anwendung eingepflegt wurden. Wer seine eigenen Daten verarbeiten will, hat die Möglichkeit die Anwendung selbst zu hosten (Quellcode ist auf GitHub verfügbar). So können eigene Daten in die Anwendung eingeladen, Simulationen generiert und anschließend im Editor bearbeitet werden.
Für 2021 plant ODIS Kontakt mit allen bezirklichen Wahlämtern aufzunehmen, um eine mögliche Umsetzung des Tools für ganz Berlin zu evaluieren.
Anmerkung zur politischen Bedeutung von Wahlbezirksgrenzen
Die Veränderung von Wahlbezirksgrenzen ist schon immer ein heikles Thema und kann Skepsis hinsichtlich der Neutralität der Verantwortlichen wecken. Beobachter der US-Politik werden mit Diskussionen um das sogenannte Gerrymandering vertraut sein und damit, wie es Wahlergebnisse beeinflussen kann. Mit unserem Wahlbezirksprototypen haben wir bewusst ein Tool entwickelt, das beim Zuschneiden neuer Wahlbezirke eine politisch neutrale Unterstützung darstellt. Unser Tool trifft keine endgültige Entscheidung darüber, wie die neuen Wahlgebiete aussehen sollen, sondern schlägt eine Reihe von Szenarien vor, die von den Benutzer*innen weiter nach ihren individuellen Vorgaben bearbeitet werden können. Dieses Tool ist ein Hilfsmittel, keine vollständig automatisierte Komplettlösung und ist nicht dafür gedacht menschliche Entscheidungsprozesse zu ersetzen.
Unser Algorithmus verwendet offizielle Verwaltungsdaten, um Simulationen zu generieren, die sowohl die geografische Kompaktheit der Wahlbezirke als auch die Gleichmäßigkeit der Bevölkerungsverteilung im Bezirk maximieren. Dabei werden weder demografische Merkmale, noch Daten zur politischen Zugehörigkeit berücksichtigt. Unser Instrument ist daher nicht in der Lage eine politische Partei oder eine demografische Gruppe systematisch zu bevorzugen, sondern versucht eine Vielzahl von Szenarien anzubieten, die ausschließlich auf der Verteilung der Bevölkerung innerhalb des Bezirks basieren. Entsprechend unserer Verpflichtung zur Transparenz und Neutralität dieses Prozesses steht unser Quellcode für Replikationszwecke offen auf GitHub zur Verfügung.