Bedeutet 'Shared Mobility' gleich 'Shared Data'?
In einem Workshop mit Interessengruppen haben wir uns das Thema Datenaustauschvereinbarungen zwischen Shared-Mobility-Providers und der Stadt ausgearbeitet.
Wir setzen unsere Arbeit zu den Daten der Mobilitätsanbieter in Berlin fort und gehen der Frage nach, wie die Stadt durch diese Daten profitieren kann. Zuvor haben wir die Verfügbarkeit und Qualität von öffentlich zugänglichen APIs von Bike-Sharing-Anbietern bewertet und die von diesen APIs gesammelten Daten analysiert, um zu sehen, welche Erkenntnisse wir über die Nutzung von Bike-Sharing in Berlin gewinnen können.
Nahezu täglich werden Artikel über die Fülle der gemeinsamen Mobilitätsangebote in der Stadt und die damit verbundenen Herausforderungen (und Chancen) in den Berliner Zeitungen veröffentlicht. Dabei steht vor allem der Neueste Mobilitätsservice im Fokus: der E-Scooter. Von der Diskussion über die Sicherheit, die Verteilung auf den Bürgersteigsflächen, bis hin zum Einfluss von Fahrrad- und Scooter-Sharing auf die Stadtentwicklung und -planung ist die gemeinsame Mobilität ein dominantes Thema – für Bürger*innen und Politiker*innen gleichermaßen.
Nachdem wir die Gespräche über die Shared Mobility Angebote in der Stadt und die Bemühungen der Verwaltung, rechtzeitig auf Herausforderungen zu reagieren, beobachtet hatten, stellten wir uns die Frage: Wie können wir das Gespräch über die Shared Mobility in Berlin von einem Gespräch, das weitgehend auf bestehende Situationen reagiert, in ein Gespräch verwandeln, dass proaktiv darauf abzielt, ein gemeinsames Mobilitätskonzept zu gestalten, welches für alle besser funktioniert?
Um die Gespräche zu diesem proaktiven Ansatz voranzutreiben, haben wir Anfang September eine Gruppe von 25 Stakeholdern zu einem Workshop im Berliner CityLAB eingeladen. Nachfolgend finden Sie einen Überblick über die Diskussionen und Erkenntnisse des Workshops, sowie eine Skizzierung der nächsten Schritte zur Weiterentwicklung dieses Themas.
Über den Workshop
Die Teilnehmenden des Workshops vertraten eine Vielzahl von Organisationen, darunter die Berliner Verwaltung (sowohl die Senatsverwaltung als auch die Bezirksverwaltungen), mehrere Mitarbeiter von Leihfahrradanbietern und gewählte Vertreter*innen und Organisationen der Zivilgesellschaft.
Der Workshop stand ganz im Zeichen der Frage, wie die Stadt Berlin von Vereinbarungen zu standardisiertem Datenaustausch zwischen der Stadtverwaltung und den Anbietern von Shared Mobility Services (d. h. den Unternehmen, die sich hinter dem Bike- und Scooter-Sharing in der Stadt verbergen) profitieren kann. Im Rahmen einer solchen Vereinbarung gibt die Stadt wichtige Informationen – wie z. B. präzise Geodaten über Parkverbotszonen in der Stadt – an Mobilitätsanbieter in digitaler Form weiter, die sich nahtlos und einheitlich in die Systeme der Anbieter integrieren lassen. Ebenso können Shared Mobility Provider wertvolle Daten über die Nutzung ihrer Dienste mit der Stadt teilen (z. B. die Gesamtzahl und den genauen Standort aller Fahrzeuge oder Daten über die Fahrten ihrer Nutzer*innen), die die Städte wiederum in ihre Planungsaktivitäten integrieren können.
Unser Workshop konzentrierte sich vor allem auf die Vorteile, die die Mobility Data Specification (MDS) für Berlin haben könnte. Dabei handelt es sich um einen aus Los Angeles stammenden Datenstandard, der klärt, wie Daten strukturiert und welche Daten zwischen Städten und Anbietern ausgetauscht werden sollen. Der Standard wurde in den USA weitgehend umgesetzt und hat sich zur Standardnorm für die Aufbereitung von Bike- und Roller-Sharing-Daten entwickelt. Wir haben hier bereits über MDS und seine möglichen Vorteile für eine Stadt wie Berlin geschrieben.
Ein kritischer Punkt ist, dass Berlin nicht über die gleiche klare Rechtsgrundlage für die Regulierung von Shared Mobility Providern verfügt wie US-Städte. In den USA können Städte den Mobilitätsanbietern die Erlaubnis verweigern, innerhalb ihrer Grenzen zu wirtschaften – es sei denn, die Anbieter unterzeichnen zuvor eine Vereinbarung über den Datenaustausch. In Deutschland hingegen besagen die maßgeblichen Rechtsauslegungen, dass Städte nicht in der Lage sind zu kontrollieren, welche Anbieter in einer Stadt tätig sind. Städte haben lediglich die Möglichkeit, die Aktivitäten der Anbieter im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung einzuschränken – indem sie bspw. mehr als vier Fahrzeuge an einem einzigen Standort zu verbieten oder Parkverbotszonen einrichten. Aus diesem Grund konzentrierten sich unsere Gespräche im Workshop auf die Möglichkeit freiwilliger Vereinbarungen zwischen der Verwaltung und den Anbietern.
Der Workshop behandelte die folgenden Punkte:
- Eine Einführung in die MDS (zur Verfügung gestellt von Maximilian Richt, Mitarbeiter der Stadt Ulm und Mitwirkender der Initiative Radforschung, die ausführlich über MDS geschrieben hat.
- Ein Überblick über Tools, die Verwaltungen helfen, Mobilitätsdaten von Shared Mobility Operators (wie Remix oder Populus) zu verstehen und zu analysieren.
- Eine Überprüfung, welche Städte oder Organisationen in Deutschland bereits daran arbeiten, freiwillige Vereinbarungen mit Mobilitätsanbietern abzuschließen.
- Eine Zusammenfassung der Gespräche, die mit Shared Mobility Providern zu Themen wie Regulierung und Datenaustausch mit der Verwaltung stattgefunden haben, angeleitet durch Vertreterinnen des früheren InnoZ und jetzt weitergeführt durch die Spiekermann GmbH (Spiekermann ist ein Beratungsunternehmen mit Schwerpunkt Mobilitätsfragen).
- Eine Analyse der Chancen und Hürden der Interessengruppen in Bezug auf Vereinbarungen über den Datenaustausch zwischen Städten und Anbietern.
- Ein Überblick darüber, welche Daten durch MDS tatsächlich spezifiziert werden.
Was wir gelernt haben
1. Shared Mobility Anbieter in Berlin sind offen für die Idee von freiwilligen Vereinbarungen zum Datenaustausch.
Natürlich gibt es Vorbehalte. So speichern die Anbieter beispielsweise nach Angaben von Vertretern eines der Berliner Leihfahrradanbieter aus Datenschutzgründen keine Routendaten und könnten diese daher nicht an die Stadt weitergeben. Darüber hinaus wäre die Einrichtung von MDS-konformen APIs ein nicht trivialer Aufwand, da die meisten Shared Mobility Provider derzeit MDS intern nicht nutzen. Jedoch stehen Vereinbarungen zu einem freiwilligen Datenaustausch in einem guten Licht, da die Anbieter durchaus daran interessiert sind, mit den Verantwortlichen der Stadt über mögliche Kooperationen zu sprechen. Schließlich können auch sie von solchen Vereinbarungen profitieren indem sie sich bspw. aktiv an der Gestaltung von Reglungen und Vorschriften beteiligen. Darüber hinaus würden die Anbieter mit der Nutzung von MDS von einem einzigen Regelwerk (z. B. bei Parkverbotszonen) profitieren, das auf standardisierte Weise bereitgestellt wird und sicherstellt, dass alle Anbieter auf die gleiche Weise agieren.
2. Insbesondere die Berliner Bezirke sehen erhebliches Potenzial bei der Umsetzung von MDS und dem Datenaustausch.
Zwei der Berliner Bezirke waren im Workshop vertreten und sahen erhebliches Potenzial in den Erkenntnissen, die aus gemeinsamen Mobilitätsdaten gewonnen werden könnten, insbesondere für die in den Bezirken ansässigen Stadtplanungsbüros. Sie sahen auch den Wert der digitalen Tools, um Parkverbotszonen zu zeichnen, die dann als GeoJSON-Dateien direkt exportiert und an Anbieter weitergereicht werden können. Dies würde den aktuellen Prozess, bei dem handgezeichnete Zonen digitalisiert werden müssen, deutlich verschlanken und eine Einheitlichkeit der Zonen bei allen Anbietern gewährleisten.
3. Die Verwaltungsvertreter gaben zu bedenken, dass ihnen die Kapazität und das Fachwissen fehlen könnte, um Mobilitätsdaten selbst zu verarbeiten.
Diese Bedenken wurden bereits zuvor von Verwaltungsmitarbeiter*innen geäußert: Sie sind sich einig, dass die möglichen Erkenntnisse aus diesen Daten äußerst wertvoll wären, aber sie sind sich weniger sicher, dass die Verwaltung selbst in der Lage wäre, diese Erkenntnisse zu erlangen. Das Argument ist, dass der Verwaltung genügend Personal für solche Aufgaben fehlt und den Verwaltungsmitarbeiter*innen darüber hinaus die technischen Fähigkeiten fehlen, Mobilitätsdaten sinnvoll zu verarbeiten und zu analysieren. Es ist klar, dass eine erfolgreiche Umsetzung von MDS in Berlin mit der Einführung von Softwaretools einhergehen muss, die es den Regierungsmitarbeiter*innen ermöglichen, diese Daten zu verstehen und zu analysieren – auch wenn ihnen selbst die Fähigkeit fehlt mit den Rohdaten zu arbeiten.
4. Die Zuständigkeit für die Erarbeitung einer Kooperationsvereinbarung mit den Sharing-Anbietern läge bei der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK), jedoch ist aktuell unklar, welche Abteilung dort für datenbasierte Services zuständig ist.
Die Workshop-Teilnehmer*innen aus der Verwaltung waren sich einig, dass die SenUVK beim Thema Datenstandards vorangehen und einen Rahmen für die Bezirke vorgeben müsste (wenn jeder Bezirk eine eigene Datenvereinbarung erlässt, wäre Chaos vorprogrammiert). Weniger klar war jedoch, wer konkret – d. h. welche Abteilung oder Referat – zuständig sein könnte. Die Nutzung von Echtzeit-Mobilitätsdaten zur Verkehrsplanung und -steuerung ist ein relativ neues Feld und aktuell fehlt es der Verwaltung offenbar an Personal und Know-How, um hier vertiefend tätig zu werden.
Wie geht es weiter?
Im Allgemeinen werden wir weiterhin an Tools arbeiten, die den Wert offener Daten zeigen – insbesondere im Mobilitätskontext. Da mangelhafte bzw. fehlende Datenkenntnisse eine der größten Bedenken von Verwaltungsmitarbeiter*innen sind, werden wir auch nach Möglichkeiten suchen, diese Kapazitäten bei der Verwaltung aufzubauen, z. B. indem wir mit einem Bezirk in einem Pilotprojekt zusammenarbeiten, um digitale Parkverbotszonen zu erstellen (bspw. im GeoJSON-Dateiformat) und an Mobilitätsanbieter zu übermitteln. Schließlich wird die Technologiestiftung Berlin einen eigenen Vorschlag für eine freiwillige Vereinbarung zwischen Stadtverwaltung und Mobilitätsanbietern erarbeiten und diesen als Grundlage für weitere Gespräche nutzen.